Pünktlich um 8 Uhr ertönt das Trompetensignal über die Militärbasis gegenüber der Marina. Das ist wohl auch das Signal für die Kreuzfahrtschiffe daneben mit den Durchsagen über die Bordlautsprecher zu beginnen, die die gebuchte Tagestour zum Kennedy Space Center koordinieren sollen. Die Schiffe geben sich am Kreuzfahrterminal quasi die Festmacher in die Hand. Am frühen Morgen ankommen, dann die Tagestour und abends wieder raus. Aufregendes Kreuzfahrerleben. Bis zu drei der Schuhkartons waren gleichzeitig da.
Neben der Verproviantierung des Schiffes stehen zwei weitere Punkte auf dem Plan. Eine HP Druckerpatrone organisieren und Karten über die Bahamas kaufen. Beides ist schneller geschrieben, als abgewickelt. Im örtlichen Fachgeschäft für Bürobedarf gibt es auch Druckerpatronen. Es findet sich im HP Verzeichnis mein Druckermodell und die empfohlene Patrone ist auch vorrätig. Sehr schön! Zurück auf dem Schiff alles aufgebaut und die Patrone eingesetzt. Es passiert, bis auf die Meldung, dass diese Patrone für den Drucker nicht geeignet ist, nichts. Auf der Homepage von HP wird für den Drucker eine andere Patronennummer angegeben, als in deren Katalog im Laden. Was soll das? Der Service dieser Firma reklamiert auf seinen Seiten die ausgesprochene Kundenorientierung, ist jedoch nur telefonisch gegen Entgelt zu erreichen. Eine Anfrage per Mail geht nicht. Zurück im Laden wird mein Verdacht geteilt, dass die Druckersperre nicht nur den Einsatz von Fremdpatronen verhindert, sondern auch den Einsatz einer US Patrone in einen in Deutschland gekauften Rechner. Super Kundenorientierung. Irgendwie werden die meinen Ärger noch mitgeteilt bekommen, jedoch nicht für teures Geld am Telefon. Der nächste Besuch bringt jetzt Tinte aus Deutschland mit. Welch ein Irrsinn.
Teil eins der Organisation der Karten für die Bahamas hat schon mal geklappt. Der bestellte Kartensatz lag tatsächlich bei West Marine bereit. Nur den Anschlusssatz gab es in Cocoa Beach nicht, sondern war nur noch in der Filiale in Fort Pierce am Lager. Bestellt und hingefahren. 200 km für Seekarten. Auch eine neue Erfahrung. Sicher ist sicher, obwohl Fort Pierce auf meinem nach Süden Weg liegt. Hat sich aber gelohnt. Nach eingehendem Studium, vor allem der Detailkarten, gibt es einen Weg über die Bahamabank und weiter, auch für ein Schiff mit 2,30m Tiefgang. Viele der Marinas und einige der Ankerplätze können jedoch nicht angelaufen werden, weil zu flach. Einige Passagen sind nur mit Hochwasser zu passieren. Das wird noch spannend.
Beim Ausklarieren entdecke ich vor dem Marinabüro die „Gedenkstätte“ für dahingeschiedene Kunden. Service über das Ende hinaus. Hat aber etwas von Tierfriedhof. Halt sehr amerikanisch.
Mit fast 10kn über Grund passiere ich die Angler auf der Einfahrtmole von Fort Pierce. Der Flutstrom verursacht wilde Strudel an den Engstellen. Nicht nur am Ausverkauf der Seekarten, sondern auch an den knapper werdenden, weil besetzten Ankerplätzen, macht sich der Bootszug nach Süden bemerkbar. So schleiche ich mit dem letzten Licht an einen ausgeguckten Platz am Rand eines Nebenfahrwassers. Ist zwar nicht ausdrücklich als Ankerplatz ausgewiesen, aber auch nicht verboten. Das passt. Der gestrige Flutstrom steht mir beim Auslaufen mit bis zu vier Knoten entgegen. Nur langsam schiebe ich mich an den Tonnen vorbei. Bis über die Barre vor der Hafeneinfahrt, wo es noch einmal heftig wirbelt. Um den jetzt immer dichter an die Küste herrückenden Golfstrom nicht in voller Stärke gegen an zu haben, bleibe ich auf der 10m Linie oder knapp darunter.
Im Lake Worth Inlet und im Hafengebiet dahinter ist noch mehr los als bisher. Neben den vielen Sportbooten schiebt sich die Berufsschifffahrt durch. Neben der Rinne zur Tanke stehen die Leute nur im knietiefen Wasser. Die Rinne hat gerade die Breite einer Schifflänge. Da muss ich sehr aufpassen, nicht von einem der dicken Motorboote aufs Flach gedrückt zu werden. Jeder drängelt auf die tiefere Seite. Nachdem das Schiff für die Bahamas voll betankt ist, beginnt auch hier die Suche nach einem Ankerplatz. Neben dem ausgewiesenen Ankerfeld sind alle sonst ausgeguckten Plätze entweder mit Moorings belegt oder zu flach. Auf dem Ankerplatz liegen schon einige Schiffe. Zwei Mal muss ich den Anker neu setzen, um nicht zu dicht an anderen zu liegen oder halb in der Fahrrinne. Wegen des Tidenstroms schwojen die Boote einfach unberechenbarer und brauchen mehr Platz.
Mit dem Standort Palm Beach liege ich jetzt südlicher, als der geplante Einstieg auf die Little Bahama Bank und bin nur noch 50sm entfernt. Entsprechend vorgehalten, soll mich der Golfstrom mit 2 bis 2,5 Knoten, beim Überqueren, soweit nach Norden versetzen, dass es passt. Dabei dürfen nicht mehr als max. 15 Knoten Wind aus dem nördlichen Quadranten gegen den Golfstrom wehen. Das würde Wellen produzieren, die hier Elefanten heißen. Das schlaue Buch bemüht das Bild von Zirkuselefanten, die aufgereiht, Rüssel am Schwanz des Vordermanns, in einer Reihe daherkommen. Es wird dringend davon abgeraten, dann draußen zu sein. Ist nicht mein Plan. So gilt es hier das passende Windfenster abzuwarten. Im Moment sieht es in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch so aus. So kann ich der auch zweiten Empfehlung folgen, nur tagsüber auf den Bahamas unterwegs zu sein. Jedoch nicht der dritten Empfehlung, nicht die Sonne gegen sich zu haben und einen möglichst hohen Sonnenstand. Alles wegen der Sicht auf die Wassertiefen. Teil drei geht nicht, da der Weg über die Little Bahma Bank zum ersten Ankerplatz noch einmal 50sm sind. Da muss ich noch bei Licht ankommen.
Super Timing! Mit 6 Knoten Fahrt über den Golfstrom kalkuliert. Fahrtzeit für die 50sm 8,3h. Der Golfstrom läuft im Schnitt mit 2 bis 2,5 Knotennach Norden. Für die angenommene Segelzeit 18sm Stromversatz. Dafür knapp 20 Grad vorhalten plus 7 Grad Missweisung, macht am Kompass 090 statt 063 Grad. Es geht also auch noch zu Fuß ohne elektronische Navigationshilfen. Der Golfstrom schiebt das Schiff genau vor den Einstieg im Riff auf die Little Bahama Bank. Das Echolot springt in zwei Minuten aus unergründlichen Tiefen von mehreren hundert Metern auf sechs Meter. Auch zur kalkulierten Zeit um 08.00 Uhr, eine Stunde nach Sonnenaufgang. Deswegen bin ich in Palm Beach um Mitternacht aufgebrochen. Auch der Rest über die Little Bahama Bank mit weiteren 50sm passt. Noch vor Sonnenuntergang fällt der Anker vor Great Sale Cay. Schlagartig tritt totale Ruhe ein. Nach dem Trubel im Hafen von Lake Worth ist das fast unheimlich. Keine Radiostation, kein Internet. Die Insel selbst ist unbewohnt und ich bin der einzige Segler vor Ort. Ich glaube, ich schließe heute Abend ab. Ich hoffe, dass ich weit genug draußen geankert habe, damit ich heute Nacht nicht Opfer einer fliegenden und beißenden Invasion aus den Mangroven werde. Besser zwei Mal abschließen.
Die Ruhe und Einsamkeit ist geblieben und die bissigen Besucher aus den Mangroven haben ihr Haus auch nicht verlassen. Schon am frühen Morgen strahlt die Sonne vom wolkenfreien Himmel und es wird schnell warm. Wind geht fast gar keiner und so wird es ein Motorboottag. Abgesehen von der Hitze, auch gut. So kann ich mich langsam auf das Revier einlassen und schaue nicht mehr dauernd auf die Anzeige vom Echolot. Die Wassertiefe wechselt von 3,4m auf 7m und wieder zurück. Ich habe in einer stillen Stunde im Abgleich zwischen Papierkarte, elektronischer Seekarte und Sonarkarten jede Menge Wegpunkte bis nach Nassau eingegeben, um mit 2,30m Tiefgang auf der sicheren Seite zu sein. Die sind aber nicht als Route direkt abzufahren, da die Tidenströme nicht zu kalkulieren sind. Der direkte Kurs muss immer wieder um den Stromversatz korrigiert werden. Manchmal im Minutentakt. Die Tidenverspätung zu Nassau beträgt 30 Minuten, der Hub knapp 1m. Konservativ mit 0,6m kalkuliert und die vom Tiefgang abgezogen, kann ich Flachs mit 1,70m bei Hochwasser passieren. Einige Marinas wären für mich nur so zu erreichen. Will ich da hin? Eher nicht!
Unterwegs passiere ich den „centre of the world rock“. Sehr unscheinbar. Da habe ich mehr erwartet. Am heutigen Ankerplatz sind wir anfangs zu zweit. In der Dunkelheit kommt dann noch ein Segler dazu. Der macht aber nicht nur sein Ankerlicht an, sondern beleuchtet gleich seinen ganzen Mast. Aber sonst, wie gehabt, totale Stille. In den Stunden vor dem Mond, Sterne bis hinunter zum Horizont. Die Nacht ist pechschwarz, keine Spur von Lichtverschmutzung. Morgens stellt sich der Segler mit dem Lichterzauber als Scheinriese heraus. Der Mast ist kleiner, als meiner. Heute muss ich eine Marina anlaufen, um einzuklarieren. Ich bin immer noch mit der gelben Flagge unterwegs. Wenn ich das Wettersystem auf den Bahamas richtig verstanden habe, kündigt sich auch eine Front an. Da sollte man sowieso sicher geparkt sein.
Schon um 10.00 Uhr stehe ich vor der Hafeneinfahrt. Den Schauer kann man kommen sehen. Es reicht gerade noch fürs leichte Ölzeug, als es wie aus Eimern schüttet und der Wind ordentlich zulegt. Meine Rufe über Funk bleiben unbeantwortet. Ich bin das einzige Schiff, alle Stege sind leer. Am allerletzten Anleger winkt eine rote Jacke. Ich wähle die Leeseite des Steges. Als wir gemeinsam das Schiff fest haben, hört auch der Regen auf. Typisch Anlegeschauer. Der Wind aber bleibt und legt noch auf 6 Bft. zu. Hier ist sowas von gar nichts los. Dafür gibt es eine Zollstation gleich um die Ecke. Angeklopft und mir wird von einer jungen Dame in Uniform geöffnet. „Ob ich denn schon alle Papiere ausgefüllt hätte?“ „Nein, welche braucht man denn?“ Sie sammelt von einem großen Tisch vier Vordrucke und überreicht sie mir. Ich werfe einen Blick und darauf und mir entfährt ein „ups“. Die Kopien sind von so schlechter Qualität, dass die Schrift mehr zu raten, als zu lesen ist. Die Beamtin meint, sie wisse das und ich sollte nur fragen, wenn ich nicht weiterkäme. In der Zwischenzeit nimmt sie sich meiner Papiere an. Offensichtlich ist sie mit dem Problem so bewandert, dass ich mehrmals nur Luft für eine Frage zu holen brauche, da gibt sie schon die Antwort, was in die fragliche Zeile gehört. Summa summarum bekomme ich ein Visum für 90 Tage und für 300$ eine Crusing Licence und einen Angelschein. Beides zeitlich begrenzt. Da ich die Frage nach zu verzollenden Gütern verneine, kommt auch niemand an Bord. Besser so!
Der Wind hat inzwischen eine ordentliche Welle aufgebaut, die die wenigen, als Schutz gedachten Steine, einfach überspült. Das Schiff bockt an seinem Liegeplatz ordentlich, sodass ich alle Leinen verdopple. Es kommen noch zwei Boote herein, die wir gemeinsam anlegen. Alle hantieren eifrig mit ihren Leinen, um die Boote zu sichern. Es wird eine unruhige Nacht. Es weht immer noch mit 6 Bft. Der Wetterbericht von „BarometerBob.org“ (das ist doch einmal ein Name für eine Wetterseite) verkündet den Durchzug der Kaltfront für heute. Man kann sie kommen sehen. In Minuten schüttet es wieder, der Wind springt von SW auf NW und legt auf 7 Bft. zu. Aus dem heftigen Wehen wird ein Fauchen. Der bisher sichere Leeplatz am Steg ist plötzlich die Luvseite. Mein nettes Festmachermakramee ist für die Katz. Einige Leinen müssen umgesteckt werden. Ich verbinde die Aktion gleich mit einer Dusche und mache das in der Badehose. Nachbars werfen sich ins Ölzeug. Eine sehr beindruckende Demonstration davon, was der Revierführer der Bahamas meint, wenn er auf seinen Wetterseiten eindringlich auf diese Frontensysteme hinweist. Der normale NE bis E Wind im Winter dreht im Uhrzeigersinn auf SW, weht heftig und springt dann auf NW. Alles, wie gerade erlebt. Für die Lage braucht es einen allseits geschützten Ankerplatz oder Hafen. Bis sich alles wieder normalisiert hat kann es Tage, aber auch eine Woche oder länger dauern. Gut, die Erfahrung nicht an einem offenen Ankerplatz machen zu müssen. Mal sehen, wie das hier weiter abläuft. Beim abendlichen Kochen entdecke ich die „Neue Deutsche Welle“ auf der Musikfestplatte neu. Mit Liedtexten wie „sie rauchen Milde Sorte, denn das Leben ist schon hart genug“, kann ich nur zur Luftgitarre greifen und mitsingen.
Nach drei Tagen hat sich alles wieder beruhigt. Nur, dass gestern Abend noch Murphy zu Besuch war. Er hat es fertiggebracht, dass ich in die schmale Lücke zwischen Steg und Schiff passte. Neben ein paar Prellungen und Hautabschürfungen ist ärgerlich, dass natürlich meine Brille nicht da blieb, wo sie hingehört, auf der Nase, sondern mit mir unterging. So wurde heute Morgen als erstes ein Bad im Hafen fällig. Nur gut, dass es kein Publikum gab. Mit fast Niedrigwasser und guter Sicht, hatte ich die Brille schon mit dem ersten Tauchgang wieder an Bord. In den nächsten Tagen heißt es etwas kürzertreten und, obwohl ohne Holzbein und Hakenhand, übers Deck humpeln.
Vier Tagen liege ich hinter Marsh Harbour vor Anker. Der Hafen selbst ist zu flach für mich. Der Ort ist die drittgrößte Stadt der Bahamas. Sehr über sichtlich. Einzig der Supermarkt ist groß. Alles an Waren, was es auch in den USA gab, nur doppelt so teuer. Am Strand treffe ich einen Australier, der ebenfalls gerade mit seinem Dinghi anlandet. Ein bisschen Small Talk, woher und wohin. Er hat diverse Filter und Membranen seines Wassermachers dabei. Ersatzteile hat er hierher bestellt. Ich bin also nicht der einzige, der an seinem Schiff schraubt. Aus eigener Erfahrung bestätigt er die Warnungen des schlauchen Buches vor der Kriminalität in Nassau. Man sollte da auf der Hut sein. Ich will es beherzigen. Dazu passt überhaupt nicht, dass der örtliche Radiosender sein Programm mit Kirchenlieder und Gospeln beginnt, um dann den Rest des Tages nur noch Weihnachtslieder zu spielen. Die allerdings in Arrangements zwischen Reggea und Funk. Fette Bässe und Bläsersätze dominieren. Dazu läuft die Rhythmusmaschine. Schrill wird es, wenn die Vorsängerin im Chor der Kirchenlieder sich am dreigestrichenen C versucht. Ein bisschen viel Whitney Houston am Stück.
Im klaren Wasser kann ich mein Unterwasserschiff inspizieren. Sieht eigentlich ganz gut aus. Nur an Propp und Welle kleben ein paar Muscheln. Erstaunlich finde ich aber, dass sich die kleinste, direkt am Propp montierte Opferanode, schon fast gänzlich abgebaut hat. Das Ganze werde ich mit heute vornehmen. Für solche Fälle habe ich mir aus Berlin 10m Druckschlauch mitgebracht. Die Tauchflasche bleibt an Deck stehen. Der Atemregler wird am Schlauch befestigt. So kann ich ohne das ganze Tauchgeraffel unter Wasser arbeiten. So die Idee.
Na, das hat ja ganz gut geklappt. Für Nachmacher zwei Hinweise:
1. Ohne Tarierweste und Bleigurt klebt man immer wieder unter dem Rumpf. Das ist einerseits etwas lästig. Man hat aber andererseits beide Hände frei zum Arbeiten.
2. Der lange Schlauch neigt dazu, sich um Welle, Propp oder Ruder zu wickeln und die nächste Kopfbewegung zieht dann den Atemregler aus dem Mund.
Sinnvoll ist außerdem, etwaige Muttern einer Befestigung schon vorher festzukleben. So hat sich dann bei mir nur eine von vieren selbstständig gemacht. Das war dann ein bisschen fummelig.
Inzwischen haben sich die beiden Hochwasserzeiten so verschoben, dass das Morgenhochwasser nahe dem Sonnenaufgang liegt. Ich brauche den Meter mehr Wasser, um über die beiden nächsten Flachs zu kommen. So brechen die Sonne und ich gemeinsam auf. Bei mir werden es aber nur kurze Etappen bis zum nächsten Ankerplatz. Morgen werde ich die Sea of Abaco durch den North Bar Channel verlassen und hinüber nach Eleuthera, Egg Island segeln. Die Strecke geht dann mal wieder über ozeanische Wassertiefen.
Es wurde bis dato auch allein an Bord nicht langweilig, da Murphy weiterhin ein treuer Gast an Bord ist. Vor drei Tagen habe ich aus Versehen die Stromzufuhr zum Rechner unterbrochen, während ich Mails schrieb. Seitdem werde ich von Windows 10 nur noch mit einem temporären Konto angemeldet. Meine ganze Desktop Oberfläche ist weg. Daten und Dateien sind noch vorhanden. Frühere Wiederherstellungspunkte und Analyseprogramme fruchten nicht. Als Ultima Ratio schlägt Windows eine Neuinstallation unter Verlust aller fremden Programme vor. Da es z.Zt. auch kein Netz gibt, kann ich auch nicht nach anderen Lösungen forschen. Das war Murphy am Abend. Heute Morgen war er auch schon wach. Beim Ankermanöver habe ich mir am offenen Ankerkastendeckel den dicken Schorf am Arm von meinem Sturz am Steg komplett abgerissen. Nur gut, dass den Schrei niemand gehört hat. Binnen Sekunden sah es an meinem Arm und auf dem Vorschiff aus, als wäre ich angeschossen worden. Der Anker war schon raus und das Schiff treib langsam ab. Es musste also weitergehen. Erst später waren ein paar Eimer Wasser der Tatortreiniger. Blöd nur, dass die Wunde jetzt neu verheilen muss.
Die knapp 70sm bis hinüber an den Ankerplatz vor Royal Island waren von Sonnenauf- bis Untergang abgesegelt. Da am Folgetag sowie so Flaute war, konnte ich auch gleich vor Anker bleiben. Der Rhythmus hat sich inzwischen bewährt. Ein Segeltag, ein Ruhetag. Na, nicht ganz, da am Ankertag mindestens eine gute Tat fällig ist. Heuet sollte es eine zusätzliche Steckdose in der Eignerkabine sein. Zum Schluss ist nur die Steckdose zu sehen. Davor liegen aber verschwitze Stunden, um das Kabel irgendwie über die Decken- oder Wandverkleidung nach vorn zu verlegen. Die einzig hier zu empfangene Radiostation hat sich nur den Weihnachtsliedern verschworen. Während mir der Schweiß läuft, ist der favorisierte Song „Dreaming of a white Christmas“. Alle fünf Lieder geht es in immer neuen Arrangements über den Sender. Getragen mit Streichersätzen, vom Kirchenchor, als Countryversion und in der Bahamavariante mit viel Schlagwerk. Was in übrigen auch auf den Rest der Lieder zutrifft. Bei der „Schnee“ Dauer Berieselung, wird für mich die Idee nachvollziehbarer, dass Jamaika mal eine Bobmannschaft an den olympischen Start brachte. Vielleicht sehen wir demnächst die Biathlonstaffel der Bahamas. Wenn mich einer der Protagonisten mal ernsthaft fragen würde, könnte ich mit 100 Prozent Trefferquote vorhersagen, dass sich auch in diesem Jahr der „Traum einer weißen Weihnacht“ auf den Bahamas nicht erfüllen wird. Da die Steckdose jetzt am Schiffnetz ist und bevor es völlig wirr wird, da Rudolf gerade mit Schellengeläut einen Schlitten durchs Schiff zieht, gehe ich mich mal mit einem Sprung ins Wasser abkühlen.
Der Ankerplatz vor Meets Patch hat einen weiten Blick nach Westen. So findet der Sonnenuntergang in der ersten Reihe statt. Heute Abend mit einem besonders langem Green Flash, wie ich ihn bisher noch nicht gesehen habe. Da war sogar Zeit für ein Foto. Das ist allerdings alles andere als green. Wie ich bisher mitbekommen habe, gibt es hier, wegen der Menge an Ankermöglichkeiten, eine andere Ankeretiquitte, als z.B. in Griechenland. Man hält einfach mehr Abstand zum Nachbarn oder sucht sich einen anderen Platz. Davon ist der eben noch eingelaufene amerikanische Charterkat weit entfernt. Die knapp 100 m Abstand empfinde ich fast schon als Spionage. Der Green Flash wurde mit einem lauten Aufschrei der Crew quittiert. Anstelle eines Ankerlichts wurde anschließend eine bunte, blinkende und die Farbe wechselnde Lichterkette gesetzt. Das in einer sternenklaren Nacht. Adventszeit mit blinkenden Lichterketten, wie in Berlin. Nur wird dabei meine Stimmung weder weihnachtlich, noch sentimental. Das ist einfach überflüssig.
Heute gilt es, in das Seegebiet westlich von Eleuthera zu kommen. Entweder durch den Current Cut, den „Panamakanal“ von Eleuthera oder den längeren Weg durch den Fleeming Channel. Für den Current Cut muss die Tide genau stimmen, da sonst, außer bei Stillwasser, 4 Knoten und mehr an Strom stehen. Das passte nicht. Also außen herum. Bei Schwachwind wenigstens ein Anlieger und damit auch Fahrt im Schiff. Überraschenderweise, gab es in der Ankerbucht vor Godfrey Town ein freies WiFi und ich konnte mich die halbe Nacht mit Windows 10 beschäftigen. Was da inzwischen schon an Lebenszeit, nur für die Reparatur abgestürzter Programme, draufgegangen ist, möchte ich nicht wissen. Aber, es scheint ja nicht mehr ohne zu gehen. Jedenfalls kann ich mich wieder anmelden, nicht nur temporär. Was nicht heißt, dass der Rest auch schon wieder geht. Weitere Lebenszeit. Der heutige Kurztrip brachte mich in die Hatchet Bay, nach Alice Town. Die Einfahrt ist ein Felseneinschnitt von ca. 25m Breite. Dahinter eine geschlossene Bucht. Sehr geschützt. Die in der Seekarte eingezeichneten Moorings liegen abgerissen am Ufer. Ein gestrandeter Kat gleich daneben.
Offensichtlich wird auch ein Hurrican Hole mal erwischt. Um die letzte Mooring mache ich einen großen Bogen und ankere lieber auf 10m Wassertiefe. Vorsichthalber mit einer Tripleine, da der Revierführer von unreinem Grund mit weiteren Wracks berichtet. Das stellt sich ja leider immer erst heraus, wenn der Anker wieder an Bord soll. Town ist für den Ort eher der falsche Begriff. Bei uns liefe das unter Dorf. Zwei drei Straßen abseits der Hauptstraße über die ganze Insel, die hier so schmal ist, dass man auf die Atlantikseite laufe kann. Flache Häuser säumen die Wege. Einige weihnachtlich herausgeputzt. Vor den meisten stehen mehrere Autos. Eins offensichtlich fahrbereit. Die anderen als Ersatzteillager zum Ausschlachten. Die Luft steht und es ist sehr warm. Ich frage mich bei den wenigen Leuten zum Einkaufsladen durch. „Hinter der Baptisten Kirche, rechts von Schulhaus.“ Ich hörte es schon von weitem. Laut schallend wird hier gepredigt. Als ich um die Ecke biege, sehe ich, dass das nicht in der Kirche stattfindet, sondern auf der Straße. Laut und voller Inbrunst, mit der Bibel in der Hand, steht dort ein älterer Mann, und lobt Jesus Christus. Mein Anblick lässt ihn noch einmal zulegen. Da kann sich manch deutscher Kirchenfürst eine Scheibe abschneiden. Betrunken, eher nicht. Für unsere Verhältnisse auffällig, eher ja. Will ich in den Laden, muss ich da vorbei. Ich wünsche im Vorbeigehen Fröhliche Weihnachten. Das wiederum wird sofort in die Predigt eingebaut, mit der Feststellung, dass Christus die Ursache für Weihnachten ist. Das solle man bedenken und nicht auf die „Schinken und Truthähne“ (?) schauen. Die Aussage hat Folgen, denn die Dame, die jetzt aus dem Laden kommt, wünscht mir ein „Happy Thanksgiving“. Ich muss wohl sehr irritiert geschaut haben, denn sie bemerkt ihren Irrtum und schiebt unter Lachen ein „Happy Christmas“ nach. Das kann ich nur freundlich erwidern. Eigentlich wollte ich, mit Blick auf die geschlossenen Läden über die Feiertage, auch in Nassau, die Chance ergreifen, um Brot zu kaufen. Eine Bäckerei gibt es nicht im Ort, nur den Laden, der alles hat. Die letzten beiden Toastbrote bleiben aber vor Ort. Da will ich mich doch lieber selbst an Bord als Bäcker versuchen.
Die letzte Ankerbucht vor Nassau liegt in Sichtweiter der Hochhäuser auf Paradies Island in Nassau. Von hier sieht das nicht nach Paradies aus. Der vorher in der Karte ausgeguckte Ankerplatz war schon von einem dicken Motorboot belegt. So musste ich mit Plan B vor dem Riff von Rose Island ankern und nicht dahinter. Zum Glück war mein Sundowner noch nicht allzu üppig ausgefallen, als der Motorbootfahrer mit dem letzten Sonnenlicht seinen Anker lichtete. Mit meiner inzwischen erlangten Übung dauert das bei mir keine zehn Minuten mehr. So schlüpfte ich dann doch noch hinters Riff und der zweite Sundowner konnte größer ausfallen.
Heiligabend wird auch nicht vom Programm abgewichen. Jeden Tag eine gute Tat. Das umso mehr, da Morgen Besuch nach Nassau kommt. Der Tradition folgend, werden die letzten Kartoffeln zu Kartoffelsalat verarbeitet. Nur mit den Bouletten hapert es, da der Rohstoff fehlt. Die letzte Dose Corned Beef ist kein wirklicher Ersatz. Die Bescherung fiel allerdings aus. In Schleichfahrt ging es heute vom Ankerplatz in die Marina nach Nassau. Zum einen wegen der vielen flachen Stellen und Korallenköpfe und andererseits wollte ich möglichst mit Hochwasser einlaufen, um den starken Tidenstrom im Hafengebiet nicht auch noch zum Gegner beim Anlegen zu haben. Hat geklappt.
Heute Abend landet der Besuch aus Berlin und es wird mal wieder etwas mehr Leben an Bord sein.