Wieder unterwegs.
Nach den aufregenden Tagen in Belfast lasse ich die Werft hinter mir und segele bei nur schwachem Wind durch eine beindruckende Gegend. Größere und kleinere Inseln liegen im Wasser. Die Ufer und Berge dahinter sind dicht mit Tannen bewaldet. Immer wieder blitzen die Dächer von Ferienhäusern in US-Ausmaßen durch. Es müssen Ferienhäuser sein. Viele von ihnen sind noch dicht verschlossen.
Es gibt aber auch kleinere Ortschaften am Wasser mit jeweils diversen Anlegern und großen Mooringfeldern davor. Das ist auch die Crux. Was in der Karte nach einer geschützten Ankerbucht aussieht, entpuppt sich dann vor Ort, komplett mit einem Mooringfeld belegt. Viele von ihnen jedoch unbesetzt. Es bleibt aber kein Platz zum ankern. Also weiter, in die nächste Bucht. Zum Abend zieht noch eine Gewitterfront auf. Es kracht, donnert und schüttet wie aus Kübeln. Nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Totale Stille zur Nacht. Es bleibt windstill. Am Morgen hängt der Nebel in den Tannen. Ab und an steckt eine Robbe ihren Kopf aus dem Wasser, orientiert sich und holt Luft. Wenn ich mich annähre tauchen sie blitzschnell ab. Seltener zieht schnaufend ein Delfin vorbei. Bei spiegelglattem Wasser ist das alles gut zu entdecken.
Am südlichen Ende des Eggemoggin Reach erreiche ich das Gebiet mit der höchsten Lobsterfangquote. Hier liegen die Bojen der Körbe so dicht, wie die Slalomstangen bei der Winterolympiade stehen. So ähnlich kurve ich auch hindurch. Bedingt durch den Tidenhub von drei Metern, haben die Körbe in der Regel zwei Bojen, die miteinander durch eine entsprechend lange Leine verbunden sind. So ist auch bei Hochwasser immer eine Boje zu sehen. Bloß nicht zwischen zwei Bojen eines Korbes hindurchfahren. Um mich herum röhren die Losbsterboote und holen Körbe hoch. Immer wieder ziehen Schwaden von Seenebel auf und nehmen die Sicht. Auch in Southwest Harbour ist das Gebiet davor komplett mit einem Mooringfeld belegt. Überrascht hat mich der Ankerlieger karibischer Größe. Die Nummer war hier bisher nicht zu sehen.
Es wird eine längere Anreise per Dinghy von meinem Ankerplatz in den Hafen. Ein kleiner Ort entlang der Maine Street. Man merkt, dass Mount Dessert Island ein Touristengebiet für Wanderer und Naturliebhaber ist. Ein paar Leute sind mit Straßenkarten unterwegs. Es hält sich aber alles in beschaulichen Grenzen.
Anders dagegen in Bar Habour. Der kleine Ort ist der touristische Magnet der Insel. Selbst Kreuzfahrtschiffe tauchen hier auf. So ankert auch einer der Riesen davor und bootete seine tausend Gäste aus. Ich ankere daher im ruhigen Winter Harbour gegenüber. Der nächste Tag startete noch mit Sonnenschein, aber ohne Wind. Kaum hatte ich jedoch die Ankerbucht verlassen, fuhr ich schon in die erste Nebelbank. Kurz vorher waren noch zwei Lobsterboote zu sehen gewesen, die jetzt irgendwo im Nebel herumkurvten. Da mein Radarscanner zu meiner Abfahrt noch nicht fertig repariert war, fehlte das „magische Auge“ an Bord. Auf der AIS Anzeige waren die Fischer nicht zu sehen. Ich hoffte, sie sehen wenigstens mein Signal. Ansonsten hilft nur tuten. Neben den Booten selbst, sind die ausgelegten Bojen der Körbe das Problem. Sie sind im Nebel kaum zu erkennen. Manche erst kurz vor dem Bug. Bei einigen erwische ich jedoch genau die Leine zwischen den Bojen. Da hilft einfach nur sofort die Maschine abzustellen, damit der Propp stehen bleibt. Ich sehe, wie ich eine Boje hinterher ziehe, während die zweite klappernd am Rumpf entlang zieht. Während sie am Heck wieder zum Vorschein kommt, taucht auch die nachgeschleppte Boje wieder auf. Glück gehabt. Das passiert heute mehrmals. Ab und an schafft es die Sonne den Nebel zu heben. Es folgt aber sofort die nächste Nebelbank. Die kann zwischen 30 Minuten oder ein paar Stunden dick sein. So war es dann mit der letzten des Tages. Über Stunden starrte ich in den Nebel. In Sekunden waren die Brillengläser zu und die Haare nass, wie nach einer Dusche. Meinen Ankerplatz auf Roque Island steuerte ich im Nebel an. Überraschenderweise lagen hier schon zwei Boote. Das war ein ausgesprochen anstrengender Tag. Ich kann das Ruder nicht einen Augenblick verlassen. Die Selbststeueranlage würde in die nächsten Bojen fahren. Der Wetterbericht sagt weiter Nebel für das gesamte Gebiet an. Umdrehen?
Ich kann mich nicht entscheiden. Das dauernde Abhören des Wetterberichts bringt auch keine Entscheidung. Na, dann soll es so sein. Der Tag Abwarten hat zwei Vorteile. Der komplett zerlegte Windgenerator schnurrt wieder wie neu (fast). Der Blick vor die Inseltür zeigt den ganzen Tag Nebelbänke. Hier am Ankerplatz sorgt die sich erwärmende Landmasse für freie Sicht. Draußen scheint alles zu zu sein. Tags drauf, Independence Day, alles frei. Der Wetterbericht warnt vor Temperaturen von 34 Grad, bei 14 Grad Wassertemperatur. Kein Nebel in Sicht. Dafür weiter Flaute. Unter Motor bis zur kanadischen Grenze der USA bei Eastport. Ich passiere dabei den Ort Cutler. Hier stehen die Sendemasten für die Ultra-Langwellen Übertragung, mit denen die USA ihre strategische U-Boot Flotte auch Unterwasser erreichen kann. Allerdings nur One-Way. In dem Frequenzband können die Boote getaucht nicht senden. Unterwegs kommt mir ein Patrouillenboot der Home and Border Protection entgegengebrettert. War klar, nur bei Winken lassen die es nicht bewenden. Ich höre sie im Rücken umdrehen und halte weiter meinen Kurs. Mit Blaulicht sind sie parallel neben mir. „Woher und wohin, haben sie sich gemeldet, wollen sie über Nacht bleiben?“ Ich gebe bereitwillig Auskunft. Nur beim Schiffnamen braucht es etwas Nachhilfe. Dann bin ich wieder allein.
In Eastport ist die eine Wasserseite Kanada und die andere USA. Mit meinem hohen Mast muss ich durch kanadische Gewässer, um in den USA an die Mooring zu kommen, da ich die Brücke zwischen Maine und New Brunswick nicht passieren kann. Am Stadthafen liegt die USS „McFaul“, ein Kriegsschiff, geschmückt zum Unabhängigkeitstag. Es ist wohl auch zu besichtigen. Eastport liegt am Südende der Bight of Fundy. Die hat mit 20m den höchsten Tidenhub der Welt. Hier im Hafen sind es aktuell noch 6,5m. Der Tidenstrom geht ordentlich und zerrt an der Mooring. Für die Schiffbesichtigung an der Pier heißt das, die Gangway bei Flut mit ordentlich Gefälle zu erklimmen. Der Ort selbst ist geschmückt und in Feierlaune. Überall ist geflaggt und fast jeder Laden heißt die Besatzung der McFaul mit Plakaten und ausgewiesenen Rabatten willkommen und dankt für ihren Dienst. Zum Abend verstehe ich die seit Tagen andauernde Werbung im Radio von „Big Bang Boom Fireworks“. Es geht hier zu, wie bei uns an Sylvester. Erst die privaten kleinen Feuerwerke, bis am Abend das Stadtfeuerwerk abgefackelt wird. Selten ist wohl ein Kriegsschiff so friedlich beschossen worden.
Am nächsten Tag die Pflichtübung bei der Home and Border Protection zum Thema Aus- und Einklarieren in den USA. Der freundliche Officer ist froh über Besuch und teilt mir mit, bisher alles richtig gemacht zu haben. Nebenbei erfahre ich, dass sein 17jähriger Sohn seine erste Auslandsreise gerade nach China unternommen hat. Wie er erstaunt mitteilt, hätte sein Sohn berichtet, dass es keine Drogen und auch keine Schießereien an Schulen gibt („Massaker“). Das wiederum überrascht mich nun nicht. Er gibt mir den Tipp, doch in Kanada St. Andrews zu besuchen. „Only one hour of sailing from Eastport.“ Das hört sich doch gut an. Während ich abends am Hafen eine Lobster Roll in mich drücke, kommt der Seenebel langsam in die Bucht gekrochen. Bei der Rückfahrt im Dinghy ist das kanadische Ufer schon nicht mehr zu erkennen. Zur Nacht tuten die Nebelhörner der Leuchttürme. Irgendwie kann ich mich nicht aufraffen weiter zu fahren. Die Mooring ist kostenlos, es gibt WiFi-Empfang, der Supermarkt ist fußläufig erreichbar, an Bord ist alles, was ich brauche und die Sonne scheint. Nur die Sache mit den WM TV Übertragungen klappt nicht. Ist im Netz alles gesperrt. So greife ich auf das Dampfradio zurück und verfolge die Viertelfinale über Inforadio Berlin. Das allerdings kommt übers Internet rein.
Heute hat es mich dann gepackt und ich habe die Mooring los geworfen. Mit 3,5 Knoten steht der Ebbstrom gegen mich und es strudelt an einigen Engstellen ordentlich auf dem Weg nach St. Andrews in Kanada. In der Bucht vor dem Hafen beträgt der Tidenhub jetzt 7m und ich bin froh, eine dicke Mooring zu erwischen. Die gesamte Bucht ist damit belegt. Hier ankert keiner. Im Ort empfängt mich die gesperrte Hauptstraße. Vereinzelte Läufer ziehen vorbei. Es gibt einen Verpflegungspunkt und eine Musikbeschallung. Ein bisschen Berlin Marathon in ganz klein. Der Mini Ort ist um die Touristen mit Veranstaltungen bemüht. Er profitiert von der Nähe zur Bay of Fundy mit dem enormen Tidenhub. Es werden entsprechende Bootstouren angeboten. Daneben Whale Watching und Kajaktouren. Mich interessiert das Angebot im Supermarkt. Auffällig gegenüber den USA ist das deutlich erweiterte Brotangebot mit europäischem Einschlag. Ein Päckchen echter Pumpernickel wandert in den Korb. Auffallend auch, das reduzierte Angebot an Biersorten. Dafür gibt es in dem kleinen Laden gleich mehrere Weinregale. Schlussendlich einiges mit französischem Ursprung. An der Kasse dann die Feststellung, dass die ausgewiesenen Preise auch die Endpreise sind. Da kommt nicht, wie in den USA, zum Schluss noch eine Steuer drauf. Die beiden Hauptstraßen sind in 30 Minuten abgelaufen. Heute Morgen ist der Hafenmeister da und ich zahle für die Mooring.
Da in Kanada weder mein US, noch mein deutsches Handy ein Netz haben, frage ich, ob ich sein Telefon für die Meldung beim Zoll nutzen kann. Kein Problem. Aber das nachfolgende Gespräch weitet sich zum Problem aus. Anfangs noch freundlich, wird die Dame vom Zoll am Telefon immer misstrauischer. „Wie ich denn mit einem deutschen Schiff nach Kanada gekommen bin? Ob ich wirklich allein an Bord bin? Wo ich denn wohnen würde? Auf dem Schiff?“ Als ich die abschließende Frage nach einer Telefonnummer, unter der ich zu erreichen sei, wahrheitsgemäß damit beantworte, dass das nicht funktioniert, war dann Schluss. Ich solle vor Ort bleiben, sie schickt die Kollegen vorbei. Die kamen nach zwei Stunden und machten ein richtiges Fass auf. „Ich hätte mich nicht ordnungsgemäß angemeldet! Das sei mit Gefängnis bedroht! Ob ich schon einmal im Gefängnis war? War ich überhaupt schon einmal verhaftet worden?“ Nebenbei Telefonate mit der Zentrale, um meine Passdaten kontrollieren zu lassen. Es wurde auch mein Handy kontrolliert, ob es tatsächlich kein Netz hatte. Zum Glück hatte ich auf dem Handy die Bestätigung meiner elektronischen Anmeldung (eTA) abgespeichert. Die konnte ich schon einmal vorzeigen. Dazu hatte ich die Möglichkeit der Vorabanmeldung per Mail an den Zoll genutzt. Meine Erklärungen dazu wurden aber immer wieder mit dem Hinweis, ich hätte mich nicht ordnungsgemäß verhalten, ignoriert. Erst als meine Angaben von der Zentrale am Telefon bestätigt wurden und ich auch in keiner einschlägigen Kriminaldatei auftauchte, wurde der Ton etwas freundlicher. Nach einer guten Stunde erhielt ich dann einen kleinen, abgerissenen Zettel mit einer Report Nummer. Ich solle jetzt sofort die Zentrale anrufen und diese Nummer durchgeben. Unter der Nummer sei ich dann als einklariert vermerkt. Das tat ich dann wieder vom Büro des Hafenmeisters. Nach der Geschichte schüttelte der nur den Kopf und wünschte mir noch einen entspannten Tag.